2. Filmwissenschaft und Digital Humanities#

Im folgenden Kapitel werden einige GrundzĂŒge der Digital Humanities und deren Rolle in der Filmwissenschaft vorgestellt. Dadurch sollen Grundlagen fĂŒr das VerstĂ€ndnis der Fallstudie gelegt werden, auf die sich die vorliegende Open Educational Resource bezieht. Dabei werden folgende Lernziele verfolgt:

GrundzĂŒge der Digital Humanities und deren Rolle in der Filmwissenschaft

  1. Die Lernenden sind mit DefinitionsansÀtzen und Arbeitsbereichen der Digital Humanities vertraut.

2.1. Digital Humanities#

Immer mehr Quellen aus den geisteswissenschaftlichen Disziplinen liegen mittlerweile in digitaler Form vor. Gedruckte Zeitungsartikel, BĂŒcher oder Fotomaterial werden digitalisiert, Informationen zu kulturellen Artefakten in Online-Datenbanken zugĂ€nglich gemacht und kulturelle, politische oder geschichtliche Themen in wissenschaftlichen Blogs und speziellen Portalen im Internet aufbereitet. Durch diese Retrodigitalisierung analoger Materialien und die wachsende Anzahl genuin digitaler Quellen ergeben sich neue Chancen, aber auch Herausforderungen fĂŒr die Geisteswissenschaften. FĂŒr die Geschichtsforschung stellt Peter Haber angesichts der “DigitalitĂ€t von immer mehr zeithistorischen Quellen” die Frage in den Raum, ob nicht mehr wie frĂŒher ein Mangel, sondern mittlerweile vielmehr ein Überfluss an verfĂŒgbaren Informationen und Quellen herrsche. [Haber, 2012]

2.1.1. DefinitionsansÀtze#

Angesichts der rasant voranschreitenden Digitalisierung, die auch geisteswissenschaftliche Arbeitsfelder betrifft, sind neue Herangehensweisen und Methoden notwendig, die dieser immer weiter wachsenden Anzahl an potentiell zur VerfĂŒgung stehenden Daten und Quellen Rechnung trĂ€gt. Immer hĂ€ufiger ist die Rede von “Digital Humanities” - auch wenn es nach wie vor schwer fĂ€llt, diesen Begriff zu definieren. Manfred Thaller versteht die Digital Humanities zunĂ€chst “als die Summe aller Versuche, die Informationstechniken auf den Gegenstandsbereich der Geisteswissenschaften anzuwenden.” [Thaller, 2017] Es tut sich fĂŒr ihn somit ein recht breites Feld an möglichen UntersuchungsgegenstĂ€nden auf: Angefangen bei Texten ĂŒber nicht-textuelle Medien wie Tonaufnahmen, Noten, Bilder oder Filme und geografischen Informationen bis hin zu den neuen Technologien selbst als Gegenstand. Aus den jeweiligen Quellen mĂŒssen Daten extrahiert und in eine gut strukturierte Form gebracht werden, damit sie mit digitalen Methoden und Werkzeugen ausgewertet werden können.

Auch Mareike König betont, dass eine einheitliche Definition von Digital Humanities nicht existiert. Ihr Definitionsversuch lautet, “dass die Digital Humanities die Entwicklung, Anwendung und Erforschung von digitalen Techniken, Methoden und Medien zur Beantwortung geisteswissenschaftlicher Fragestellungen umfassen.” [König, 2021] Wichtiger Bestandteil der Digital Humanities ist fĂŒr sie die Selbstreflexion digitaler Forschungs- und Publikationsprozesse sowie eine entsprechende Theoriebildung.

2.1.2. Nutzen digitaler Verfahren#

Welche Chancen bieten die Digital Humanities? Ein Vorteil von digitalen Herangehensweisen ist, dass nicht nur immer grĂ¶ĂŸere Mengen an digitalen Quellen zur VerfĂŒgung stehen, sondern diese auch auf eine Art und Weise ausgewertet werden können, die bisher nicht möglich war. In sehr großen Textmengen kann etwa nach wiederkehrenden Mustern, Wortgruppen oder Motiven gesucht werden, die der menschlichen Wahrnehmung sonst verborgen bleiben - allein schon deshalb, weil niemand diese Menge an Texten selbst lesen, geschweige denn aufbereiten könnte. Durch diese digitale Art der Auswertung können sich neue Fragestellungen ergeben, sowie bisherige Annahmen aufgrund dieser quantitativen Untersuchungen ĂŒberprĂŒft und neu beleuchtet werden. Im Idealfall ergĂ€nzen sich neuere quantitative und klassische qualitative geisteswissenschaftliche Herangehensweisen und können so zu neuen Erkenntnissen fĂŒhren. Nicht zuletzt werden die digitalisierten Quellen und erarbeiteten Forschungsdaten in Repositorien und Datenbanken öffentlich zugĂ€nglich gemacht und leisten somit einen Beitrag auf dem Weg zur Nachnutzbarkeit in Open Science.

2.2. Filmwissenschaft#

Auch in der Filmwissenschaft werden AnsĂ€tze der Digital Humanities immer wichtiger. Dabei sind datengetriebene, quantitative Vorgehensweisen schon lĂ€nger in Gebrauch. Bereits in den 1970er-Jahren setzte sich Barry Salt dafĂŒr ein, statistische Methoden fĂŒr die Analyse von Filmen anzuwenden [Salt, 1974] und baute seine Überlegungen in den folgenden Jahren weiter aus [Salt, 2009]. Eine wichtige GrĂ¶ĂŸe fĂŒr die statistische Filmanalyse ist fĂŒr Salt die “Average shot lenght” (ASL), also die durchschnittliche LĂ€nge der Einstellungen eines Films, die sich aus der LĂ€nge des Films geteilt durch die Anzahl der Einstellungen errechnet. Davon ausgehend kann z.B. auf die HĂ€ufigkeit von Schnitten und damit auf verschiedene Montagestile rĂŒckgeschlossen werden. Neben der ASL wurden auch EinstellungsgrĂ¶ĂŸen und Kamerabewegungen in Einstellungen quantitativ erfasst und statistisch ausgewertet.

2.2.1. Datenbanken und digitale Tools#

Die Erhebung dieser Werte erfolgte zu Beginn meist noch rein manuell ohne Einbeziehung computergestĂŒtzter Mittel. Yuri Tsivian [Tsivian, 2009] nahm Salts Ansatz auf und fĂŒhrte ihn in Form von “Cinemetrics” weiter. Er entwickelte ein einfaches digitales Tool, mit dem die Einstellungswechsel bei der Sichtung eines Films manuell erfasst werden können. Die so erhaltenen Werte, also die Zahl der Einstellungen in einem Film und die LĂ€nge der Einstellungen werden im Anschluss in eine Datenbank im Internet hochgeladen, wo eine statistische Auswertung dieser Daten erfolgt. Dies geschieht ĂŒber die Cinemetrics Website, auf der neben der ASL unter anderem die Dauer der lĂ€ngsten und kĂŒrzesten Einstellung, die Anzahl der Einstellungen oder die GesamtlĂ€nge des Films aufgefĂŒhrt werden. Ebenso können auf der Grundlage dieser Daten verschiedene Visualisierungen erstellt werden (vgl. Fig. 2.1). Diese Datenbank ist frei zugĂ€nglich, alle können also sowohl Daten zur VerfĂŒgung stellen als auch mit den vorhandenen Daten arbeiten.

Screenshot Darstellung der Visualisierung eines Eintags aus der Cinemetrcis-Datenbank.

Fig. 2.1 Screenshot der Visualisierung eines Eintrags aus der Cinemetrcis-Datenbank#

Viele Datenbanken mit filmografischen Angaben, wie z.B. Titel, Entstehungsjahr, beteiligte Personen, ProduktionslĂ€nder oder Festivalpremieren sind frei zugĂ€nglich. Beispiele hierfĂŒr sind etwa IMDb, OFDb oder filmportal.de. Diese Datenbanken liefern Daten und Metadaten zu Filmen, die unter verschiedenen Perspektiven ausgewertet werden können. [Stelmach, 2024] FĂŒr Analysen im Rahmen der Production Studies sind etwa Zusammensetzungen der Filmcrew, Produktionsbudgets oder Förderungen interessant, Webseiten mit Ratings, Rezensionen, digitalisierte Presseartikel oder Kinoprogramme ermöglichen die Auswertung der Rezeption von Filmen.

Zu beachten ist hierbei, dass bei der Publikation von Daten aus solchen frei zugĂ€nglichen Datenbanken im Rahmen eigener Forschungsprojekte bestimmte rechtliche Rahmenbedingungen eingehalten werden mĂŒssen. Auf dieses Thema wird im Kapitel zu Problemfeldern bei der Datenpublikation noch nĂ€her eingegangen.

2.2.2. Formen der Visualisierung#

Die große Anzahl an Film- und Metadaten erfordert neue Formen der kritischen Einordnung und Auswertung der Informationen. Eine mögliche Form der Datenerschließung ist die Visualisierung. Im Rahmen seines Ansatzes der “Cultural Analytics” hat sich Lev Manovich intensiv mit Möglichkeiten und Techniken der Visualisierung von (kulturellen) Informationen auseinandergesetzt und stellt als einen Ansatz die “Visualisierung ohne Reduktion” heraus, bei der möglichst alle vorhandenen Informationen in der Visualisierung erhalten bleiben. [Manovich, 2020] Diesen Ansatz greift Adelheid Heftberger in ihrer Arbeit zu Dsiga Vertovs Filmen auf und entwickelt ihn weiter. [Heftberger, 2016]

Close-ups von Gesischtern in "The Eleventh Year" (Dziga Vertov, 1928)

Fig. 2.2 Close-ups von Gesichtern in “The Eleventh Year” (Dziga Vertov, 1928) (Quelle: [Heftberger, 2018], CC BY 4.0)#

Sie bestimmt die LÀnge der Einstellungen von Vertovs Filmen und erstellt mit Einzelbildern aus den Einstellungen Visualisierungen, aus denen Muster im Schnitt oder auch die Wiederkehr einzelner Einstellungen ersichtlich werden. [Heftberger, 2018] Komplexe Montagefolgen können so besser erfasst und ausgewertet werden.

2.2.3. Filmanalytische Tools#

Digitale Tools können auch filmanalytische Prozesse unterstĂŒtzen. Sie erleichtern die Erstellung von Annotationen zu einzelnen Filmen, also die Anreicherung von Filmen mit zusĂ€tzlichen Informationen zu dessen verschiedenen medialen Ebenen, wie etwa Tongestaltung, Bild oder Musikeinsatz. Es entstehen digitale Filmprotokolle, durch die Eigenschaften eines Films erfassbar und analysierbar werden sollen. Diese Annotationen können wiederum unter Einbeziehung digitaler Tools ausgewertet und mit Annotationen zu anderen Filmen in Beziehung gesetzt werden.

Annotiert werden Elemente wie Montage, Kamera, Bildkomposition, auftretende Figuren, Dialoge oder Motive. [Bakels et al., 2020] Beispiele fĂŒr solche Tools sind etwa ELAN, das ursprĂŒnglich fĂŒr linguistische Analysen konzipiert wurde, VIAN, das den Fokus v.a. auf die Analyse von Farbe im Film legt und Advene, bei dem Annotationselemente aufeinander bezogen werden können. Solche Tools zur digitalen Filmanalyse werden fortlaufend weiterentwickelt: Einzelne Annotationskomponenten wie z.B. die Erkennung der LĂ€nge von Einstellungen oder der Texte von Dialogen können immer besser automatisiert erfasst werden. Andere Elemente, wie Kamerabewegungen oder EinstellungsgrĂ¶ĂŸen, mĂŒssen meist noch manuell eingegeben oder stark nachgebessert werden. Manuelle und automatische Annotationen werden miteinander verzahnt, die Annotationsergebnisse sollen maschinenlesbar und weiterverarbeitbar sein. Mit ihnen ist z.B. die Erstellung von Visualisierungen möglich, die Muster audiovisueller Kompositionen sichtbar und besser auswertbar machen.

2.2.4. Distant Viewing#

Neben der Annotation einzelner Filme wird mit UnterstĂŒtzung digitaler Werkzeuge die (teil-)automatisierte Analyse einer großen Menge von Filmen möglich. Franceso Moretti entwickelte den literaturwissenschaftlichen Ansatz des “distant reading” [Moretti, 2016], bei dem digitalisierte Texte nach bestimmten Mustern, Motiven oder Wortgruppen durchsucht werden. In Form des “distant viewing” ĂŒbertragen Taylor Arnold und Lauren Tilton diesen Ansatz auf die Analyse (audio-)visueller Werke. [Arnold and Tilton, 2023] Sie setzen sich in diesem Kontext mit den Möglichkeiten und Grenzen von ‘computer vision’ auf der Grundlage von Algorithmen sowohl theoretisch als auch praktisch auseinander. FĂŒr die praktische Anwendung des Distant-Viewing-Ansatzes haben sie das Distant Viewing Toolkit entwickelt, das auf der Programmiersprache Python basiert. Mit diesem Toolkit ist es möglich, automatisiert Annotationen zu erstellen, z.B. welche Figuren oder Objekte im Bild sichtbar sind oder wie lange die einzelnen Einstellungen dauern. Auf der Grundlage dieser Annotationen können wiederum Muster erkannt, Gemeinsamkeiten und Unterschiede in einem Korpus von Filmen herausgearbeitet werden. Arnold und Tilton haben dies exemplarisch an der Untersuchung zweier US-amerikanischer TV-Sitcoms aus den 1960er Jahren und in Zusammenarbeit mit Tim van der Heijden fĂŒr Amateurvideos aufgezeigt. [Arnold et al., 2019]; [Heijden et al., 2025]

2.2.5. Forschungsdaten#

Beim “distant viewing”, aber auch bei allen anderen digitalen, computergestĂŒtzten AnsĂ€tzen in der Filmwissenschaft, entstehen Forschungsdaten (siehe hierzu auch das Kapitel Datenpublikation). Diese Daten sollen langfristig gespeichert und fĂŒr andere Wissenschaftler:innen zugĂ€nglich gemacht werden. Die hierfĂŒr notwendige Infrastruktur befindet sich noch im Aufbau. Wichtig ist hierbei neben der langfristigen Speicherung auch die Auffindbarkeit und die ZugĂ€nglichkeit der Daten. [Hagener and Kammerer, 2020] Zudem muss die Entstehung der Daten nachvollziehbar und deren QualitĂ€t einschĂ€tzbar sein. Nur so können diese potentiell von anderen Wissenschaftler:innen in anderen Forschungskontexten nachgenutzt werden.

Bei der Datenpublikation mĂŒssen zudem rechtliche Aspekte berĂŒcksichtigt werden. Insbesondere bei Filmwerken ist in diesem Kontext die Beachtung von Urheberrechten relevant, aber auch Fragen des Datenschutzes, wie z.B. Vorschriften zum Umgang mit personenbezogenen Daten, sind zu bedenken. Personenbezogene Daten können etwa in filmografischen Angaben eine Rolle spielen. Das komplexe Themenfeld der rechtlichen Rahmenbedingungen wird im Kapitel zu Problemfeldern bei der Datenpublikation genauer behandelt.

Als Speicherort fĂŒr Forschungsdaten stehen verschiedene Repositorien zur VerfĂŒgung. FĂŒr die Film- und Medienwissenschaft hat sich etwa media/rep/ etabliert. Zenodo bietet ebenfalls die Möglichkeit, Forschungsdaten zu publizieren und bei re3data kann nach Repositorien recherchiert werden.

2.3. Filmgeschichtsschreibung#

Neben Repositorien stellen Datenbanken mit digitalisierten Materialien, wie Text- und Bildmaterial, zu Filmen und zur Filmgeschichte wichtige Quellen fĂŒr die computergestĂŒtzte filmwissenschaftliche Forschung dar. Solche Datenbanken sind ĂŒber Web-Portale meist frei zugĂ€nglich und bieten verschiedene Recherchemöglichkeiten. Ein wichtiges Beispiel und Vorbild fĂŒr Projekte Ă€hnlicher Art ist die Media History Digital Library (MHDL), die mittlerweile fast drei Millionen gescannte Seiten umfasst. Die MHDL enthĂ€lt dabei vor allem US-amerikanische Zeitschriften und BĂŒcher, der Bestand reicht bis in die 1960er Jahre. Nach US-amerikanischem Recht sind viele Publikationen, die bis zu diesem Zeitraum erschienen sind, nicht mehr durch das Copyright geschĂŒtzt und können öffentlich zugĂ€nglich gemacht werden. [Hagener and Kammerer, 2020]

Darstellung eines Suchtreffers bei der Recherche in der MHDL mit Lantern.

Fig. 2.3 Screenshot Suche in der MHDL mit Lantern#

Lantern stellt eine WeboberflĂ€che zur VerfĂŒgung, mit der Volltextsuchen im Bestand möglich sind (vgl. Fig. 2.3). Entsprechende Treffer werden mit den Metadaten zur Publikation aufgefĂŒhrt, das Digitalisat der Publikation - also der gescannte, mit Texterkennung bearbeitete Originaltext - und damit der Kontext des Such-Treffers kann direkt aufgerufen werden.

Ein weiteres Auswertungstool ist Arclight, das Visualisierungen zu Ergebnissen von Suchanfragen an die MHDL generiert (vgl. Fig. 2.4). In dem Sammelband The Arclight guidebook to media history and the digital humanities werden verschiedene medienhistorische Forschungsprojekte vorgestellt, die unter anderem mit der MHDL und Arclight realisiert wurden, aber auch weitere Tools und Methoden der Digital Humanities anwenden. [Acland and Hoyt, 2016]

Darstellung der Visualisierung einer Suche mit Arclight.

Fig. 2.4 Screenshot Visualisierung mit Arclight#

2.3.1. Feministische Filmgeschichtsschreibung#

Auch fĂŒr die feministische Filmgeschichtsschreibung werden digitale AnsĂ€tze und Ressourcen immer wichtiger und eröffnen neue Möglichkeiten. So weist Sarah-Mai Dang darauf hin, dass digitale Archive einen relativ einfachen Zugang zu Materialien ermöglichen. Dadurch können individuelle Lebensgeschichten leichter sichtbar gemacht und das bisher vernachlĂ€ssigte filmische Schaffen von Frauen genauer beleuchtet werden. [Dang, 2018] In der Filmgeschichtsschreibung wurde die Rolle von Frauen in allen Bereichen der Filmindustrie und des Filmschaffens lange nicht beachtet - insbesondere auch bei Forschungen zum frĂŒhen Film. Um dies zu Ă€ndern, wird z.B. seit 2013 das Webportal Women Film Pioneers Project (WFPP) betrieben, in dem Materialien zur Arbeit von Frauen auf allen Ebenen der Filmproduktion in der Stummfilmzeit frei zugĂ€nglich sind. Im Rahmen eines Forschungsprojektes hat sich Sarah-Mai Dang damit beschĂ€ftigt, wie Datenvisualisierungen zur feministischen Filmgeschichtsschreibung beitragen können. [Dang, 2024] Unter ihrer Leitung wurde der Women Film Pioneers Explorer entwicklet, der Informationen aus dem WFPP visualisiert und damit leichter erschließbar macht. [Dang, 2023]

Screenshot aus dem Women Film Pionieers Explorer - Dendrogram Professions

Fig. 2.5 Screenshot Visualisierung “Dendrogram” Women Film Pioneers Explorer (https://www.informatik.uni-marburg.de/women-film-pioneers-explorer/Dendrogram.html)#

Sarah-Mai Dang fĂŒhrt weiterhin aus, dass durch digitale Datenbanken und Plattformen wie etwa die MHDL oder ECHO (Early Cinema History Online) eine FĂŒlle an Material in digitaler Form vorliegt und daher gezielt durchsucht werden kann. [Dang, 2018] Daraus ergibt sich die Möglichkeit, neue Fragen zur Filmgeschichte stellen und neue Perspektiven fĂŒr die Filmwissenschaft einzunehmen. Durch Datenbanken könnten laut Dang zudem bisher ĂŒbersehene Quellen und ZusammenhĂ€nge sichtbar gemacht werden, existierende Forschung bestĂ€tigt, aber auch hinterfragt und ausdifferenziert werden. Nicht zuletzt plĂ€diert sie dafĂŒr, dass das Erstellen von DatensĂ€tzen und Datenbanken als akademische TĂ€tigkeit anerkannt werden muss.

2.3.2. Weitere Entwicklungen in der digitalen Forschung zur Filmgeschichtsschreibung#

Digitale AnsĂ€tze sind fĂŒr die Filmgeschichtsschreibung also durchaus gewinnbringend. In einem einfĂŒhrenden Beitrag zum Sonderheft Digital Film Historiography: Challenges of/and Interdisciplinarity des Journal of Cultural Analytics weisen die Herausgeber:innen Malte Hagener und Diana Roig-Sanz jedoch darauf hin, dass sich digitale Methoden in der Filmwissenschaft und Filmgeschichtsschreibung nur langsam etablieren und fĂŒhren dies u.a. auf die KomplexitĂ€t des multimodalen Objekts Film zurĂŒck. Einerseits erschwert die DatengrĂ¶ĂŸe der digitalen Formen die Arbeit, andererseits sind Fragen des Copyrights in Bezug auf Film besonders komplex. Zudem seien viele Quellen noch nicht digitalisiert und noch nicht online verfĂŒgbar. Strukturierte DatensĂ€tze mĂŒssen erst noch erstellt und Standards etabliert werden. Es gilt, neue digitale Methoden zu entwickeln und mit bestehenden AnsĂ€tzen zu kombinieren. HierfĂŒr ist nicht zuletzt wie in allen Bereichen der Digital Humanities ein interdisziplinĂ€res Arbeiten notwendig. Dass der Einsatz digitaler Tools und Vorgehensweisen fĂŒr die filmwissenschaftliche und filmgeschichtliche Forschung fruchtbar sein können, zeigen die einzelnen BeitrĂ€ge der Ausgabe. Deren Themen reichen von der Erfassung der Daten von deutschen Filmschaffenden im Filmexil 1933 bis 1945 [Klages, 2024] ĂŒber die Auswertung visueller Muster in sowjetischen Wochenschauen [Oiva et al., 2024] bis hin zu einer AnnĂ€herung an nationale Filmgeschichte mithilfe der Netzwerkanalyse. [Hagener and Blaschke, 2024]

In dem von Sarah-Mai Dang, Tim van der Heijden und Christian Gosvig Olesen herausgegebenen Sammelband Doing Digital Film History: Concepts, Tools, Practices werden weitere aktuelle Tendenzen in der digitalen Filmgeschichtsforschung vorgestellt. [Dang et al., 2025] Der Band diskutiert in verschiedenen BeitrĂ€gen, wie digitale Technologien unser VerstĂ€ndnis von Film und Filmgeschichte verĂ€ndern. Dabei wird eine interdisziplinĂ€re Herangehensweise verfolgt und auf die Verbindung quantitativer und qualitativer Vorgehensweisen eingegangen. Auch hier wird ein breites Themenfeld filmgeschichtlicher Forschung mit digitalen Herangehensweisen abgedeckt, wobei der Band in vier grĂ¶ĂŸere Bereiche untereilt ist: Search - Data - Analysis - Visualization. Neben Forschungsdatenmanagement in der Filmwissenschaft [Dang, 2025] wird auch kritisch auf die Problematik der Datenbereinigung eingegangen [Schneider and Zimmermann, 2025], es werden Erfahrungen in der Lehre zu Digital Humanities und digitalen Tools in der Filmwissenschaft reflektiert [Diecke and Hagener, 2025], Analysetools wie das Distant Viewing Toolkit dargestellt [Heijden et al., 2025] und die Möglichkeiten von Visualisierungen in der Medienwissenschaft ausgelotet. [Burkhardt and Loist, 2025]

2.4. Neues Wissen anwenden#

Zum Abschluss dieser Lerneinheit können sie nun ihr neu erworbenes Wissen auf die Probe stellen. Bei den folgenden Multiple Choice Fragen sind gegebenenfalls auch mehrere richtige Antworten möglich.

2.5. Literatur#

[AH16]

Charles R. Acland and Eric Hoyt, editors. The Arclight guidebook to media history and the digital humanities. REFRAME Books, Sussex, 2016. ISBN 978-0-9931996-7-7. URL: http://projectarclight.org/book/.

[AT23]

Taylor Arnold and Lauren Tilton. Distant Viewing: Computational Exploration of Digital Images. The MIT Press, October 2023. ISBN 978-0-262-37516-0. URL: https://direct.mit.edu/books/oa-monograph/5674/Distant-ViewingComputational-Exploration-of, doi:10.7551/mitpress/14046.001.0001.

[ATB19]

Taylor Arnold, Lauren Tilton, and Annie Berke. Visual Style in Two Network Era Sitcoms. Journal of Cultural Analytics, July 2019. URL: https://culturalanalytics.org/article/11045-visual-style-in-two-network-era-sitcoms, doi:10.22148/16.043.

[BGSS20]

Jan-Hendrik Bakels, Matthias Grotkopp, Thomas Scherer, and Jasper Stratil. Digitale Empirie? ComputergestĂŒtzte Filmanalyse im Spannungsfeld von Datenmodellen und Gestalttheorie. montage AV, 29(1):99–118, 2020.

[BL25]

Marcus Burkhardt and Skadi Loist. Visualization In/As Digital Media Studies, pages 315–336. De Gruyter, 2025. URL: https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/9783111082486-015/html, doi:10.1515/9783111082486-015.

[Dan18] (1,2)

Sarah-Mai Dang. Digital Tools & Big Data: Zu gegenwĂ€rtigen Herausforderungen fĂŒr die Film- und Medienwissenschaft am Beispiel der feministischen Filmgeschichtsschreibung. MEDIENwissenschaft: Rezensionen | Reviews, pages 142–156, August 2018. doi:10.17192/ep2018.2-3.7836.

[Dan23]

Sarah-Mai Dang. The Women Film Pioneers Explorer. What Data Visualizations Can Tell Us about Women in Film History. Feminist Media Histories, 9(2):76–86, April 2023. doi:10.1525/fmh.2023.9.2.76.

[Dan24]

Sarah-Mai Dang. Representing the Unknown: A Critical Approach to Digital Data Visualizations in the Context of Feminist Film Historiography, pages 467–494. Materials, Methods, Discourses. Amsterdam University Press, 2024. URL: https://www.jstor.org/stable/jj.14170605.22, doi:10.2307/jj.14170605.22.

[Dan25]

Sarah-Mai Dang. Managing the Past: Research Data and Film History, pages 135–156. De Gruyter, 2025. URL: https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/9783111082486-007/html, doi:10.1515/9783111082486-007.

[DvdHO25]

Sarah-Mai Dang, Tim van der Heijden, and Christian Gosvig Olesen, editors. Doing Digital Film History: Concepts, Tools, Practices. De Gruyter Oldenbourg, 2025. ISBN 978-3-11-108248-6. URL: https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/9783111082486/html, doi:10.1515/9783111082486.

[DH25]

Josephine Diecke and Malte Hagener. Managing Tools and Expectations: Dos and Don'ts of Teaching Digital Methods for Film Analysis and Film Historiography, pages 299–312. De Gruyter, 2025. URL: https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/9783111082486-014/html, doi:10.1515/9783111082486-014.

[Hab12]

Peter Haber. Zeitgeschichte und Digital Humanities, pages 45–66. Vandenhoeck & Ruprecht Gmbh & Co, Göttingen, 2012.

[HB24]

Malte Hagener and Theresa Blaschke. Approaching a National Film History through Data. Network Analysis in German Film History. Journal of Cultural Analytics, July 2024. URL: https://culturalanalytics.org/article/118499-approaching-a-national-film-history-through-data-network-analysis-in-german-film-history, doi:10.22148/001c.118499.

[HK20] (1,2)

Malte Hagener and Dietmar Kammerer. Infrastrukturierung der Filmforschung. Auf dem Weg zu digitalen Forschungsumgebungen im Netz? montage AV, 29(1):43–57, 2020.

[Hef16]

Adelheid Heftberger. Kollision der Kader: Dziga Vertovs Filme, die Visualisierung ihrer Strukturen und die Digital Humanities. Film-Erbe; 2. edition text + kritik, MĂŒnchen, 2016. ISBN 978-3-86916-463-2. / 517 Seiten.

[Hef18] (1,2)

Adelheid Heftberger. Materiality and Montage: Film Studies, Digital Humanities and the Visualization of Moving Images. January 2018. URL: https://doi.org/10.5281/zenodo.1161531, doi:10.5281/zenodo.1161531.

[HAT25] (1,2)

Tim Van Der Heijden, Taylor Arnold, and Lauren Tilton. Distant Viewing the Amateur Film Platform, pages 239–270. De Gruyter, 2025. URL: https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/9783111082486-012/html, doi:10.1515/9783111082486-012.

[Kla24]

Imme Klages. A Digital Trail of Rupture. The German Film Exile 1933-1945 in the Data of GĂŒnter Peter Straschek. Journal of Cultural Analytics, July 2024. URL: https://culturalanalytics.org/article/118494-a-digital-trail-of-rupture-the-german-film-exile-1933-1945-in-the-data-of-gunter-peter-straschek, doi:10.22148/001c.118494.

[Kon21]

Mareike König. Was sind Digital Humanities und was sind sie nicht? Ein Interview ĂŒber Geisteswissenschaften im Fokus der Digitalisierung. April 2021. URL: https://dhdhi.hypotheses.org/6426.

[Man20]

Lev Manovich. Cultural analytics. The MIT Press, Cambridge, Massachusetts, 2020. ISBN 978-0-262-03710-5. URL: http://manovich.net/index.php/projects/cultural-analytics.

[Mor16]

Franco Moretti. Distant reading. University Press, Konstanz, 2016. ISBN 978-3-86253-076-2.

[OOM+24]

Mila Oiva, Tillmann Ohm, Ksenia Mukhina, Mar Canet Solà, and Maximilian Schich. Soviet View of the World. Exploring Long-Term Visual Patterns in “Novosti dnia” Newsreel Journal (1945-1992). Journal of Cultural Analytics, July 2024. URL: https://culturalanalytics.org/article/118495-soviet-view-of-the-world-exploring-long-term-visual-patterns-in-novosti-dnia-newsreel-journal-1945-1992, doi:10.22148/001c.118495.

[Sal74]

Barry Salt. Statistical Style Analysis of Motion Pictures. Film Quarterly, 28(1):13–22, 1974.

[Sal09]

Barry Salt. Film style and technology: history and analysis. Starword, London, third edition edition, 2009. ISBN 978-0-9509066-5-2. URL: http://www.starword.com/fstyleTZ.pdf.

[SZ25]

Alexandra Schneider and Yvonne Zimmermann. Data Cleaning and Diversity in Digital Film Historiography, pages 185–200. De Gruyter, 2025. URL: https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/9783111082486-009/html, doi:10.1515/9783111082486-009.

[Ste24]

MiƂosz Stelmach. Cinema Counts: The Computational Turn and Quantitative Methods in Film Studies. Kwartalnik Filmowy, pages 6–28, 2024. doi:10.36744/kf.2934.

[Tha17]

Manfred Thaller. Digital Humanities als Wissenschaft, pages 13–18. J.B. Metzler Verlag, Stuttgart, 2017.

[Tsi09]

Yuri Tsivian. Cinemetrics, Part of the Humanities' Cyberinfrastructure, pages 93–100. MedienumbrĂŒche. transcript, Bielefeld, 2009.