3.3. Operationalisierung der Fragestellung#

Die vorliegende Fallstudie zu Studierendenfilmen im Archiv der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF geht von folgender Ausgangsfrage aus:

Ausgangsfrage

Welche Veränderungen lassen sich in den studentischen Filmen der Jahre 1985 bis 1999 erkennen, die auf die deutsche Einheit verweisen?

Die Zusammenstellung des Korpus und die hierfür durchgeführte Recherche haben ergeben, dass genügend Werke für den angedachten Untersuchungszeitraum vorhanden sind. Die Zahl von 1366 bibliografischen Einträgen zu studentischen Filmen im Bibliothekskatalog für den Untersuchungszeitraum weist darauf hin, dass eine quantitative Auswertung der Filme bzw. der Metadaten zu den Filmen mit digitalen Tools sinnvoll möglich ist. In einem nächsten Schritt soll nun die Fragestellung operationalisiert werden.

Was ist damit gemeint? Allgemein gesprochen geht es darum, zu bestimmen, welche Daten für die Beantwortung einer Fragestellung hilfreich sind und ggf. erhoben werden müssen, und welche Variablen dabei eine Rolle spielen können. Im Rahmen dieser Operationalisierung werden theoretische Ansätze berücksichtigt, gleichzeitig soll die Verbindung von quantitativen und qualitativen Herangehensweisen in die Überlegungen mit einbezogen werden.

Durch die Operationalisierung wird die filmwissenschaftliche Fragestellung weiter konkretisiert und eingegrenzt. Dabei ist wichtig, dass verschiedene Perspektiven und film- und kulturwissenschaftliche Herangehensweisen eingenommen werden können, die sich auf unterschiedliche Daten beziehen, die für die Beantwortung der Fragestellung relevant sind. Die Daten können dabei aus verschiedenen Quellen stammen: Für die Auswertung ästhetischer Merkmale müssen mithilfe digitaler Tools Annotationen zu den Filmen erstellt werden, Daten zur Rezeption wie Besucher:innenzahlen können aus Datenbanken im Internet entnommen werden und mit den Metadaten aus dem OPAC der Filmuniversität kann etwa die Anzahl von Filmen in einem bestimmtem Zeitraum oder die Projektart von Filmen bestimmt werden.

Im Folgenden können diese unterschiedlichen Perspektiven nicht in der Tiefe betrachtet werden, sondern sie werden hier lediglich als Möglichkeiten angedeutet. Dabei weisen sie auch über unsere Fallstudie hinaus und sind nicht streng auf diese beschränkt. Der Fokus liegt dabei jeweils auf den potenziell notwendigen Daten und deren Struktur, also auf den quantifizierbaren Aspekten. Die angeführten Aspekte verstehen sich dabei jeweils als Beispiele, sie können durch zahlreiche weitere ergänzt werden und erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

3.3.1. Ästhetisch-Analytische Perspektive#

Die ästhetisch-analytische Perspektive nimmt stilistische Merkmale der Filmanalyse in den Blick. Diese können z.B. sein:

  • Einstellungslängen

  • Einstellungsgrößen

  • Kamerabewegungen

  • Schnittfrequenzen

  • Farbgestaltungen

Die quantitative Erfassung solcher Merkmale ermöglicht einen Vergleich verschiedener Filme. Diese Erfassung müsste mithilfe digitaler filmanalytischer Tools geschehen, indem Annotationen zu den Filmen erstellt werden. Hierbei ist wie bei allen anderen noch besprochenen Perspektiven wichtig, diese Merkmale und deren Auftreten zu kontextualisieren. Aus welchen Gründen treten sie auf? Und welche Filme werden überhaupt sinnvollerweise miteinander in Beziehung gesetzt oder verglichen?

3.3.2. Narrative Strukturen#

Narrative Strukturen in Filmen anhand quantitativer Elemente zu erfassen, kann sich als komplexes Unterfangen herausstellen. Sinnvolle Ansatzpunkte hierfür sind etwa:

  • Sind (klassische) Aktstrukturen erkennbar und wenn ja, welche?

  • Wie sind die Filme in Sequenzen strukturiert?

  • Wie beeinflussen Muster von Einstellungslängen die narrative Struktur?

  • Welche Figuren nehmen die größte Leinwandzeit ein und erweisen sich dadurch als möglicherweise zentral für die Narration?

  • Welche Dialoge mit welchem Inhalt finden statt?

  • An welchen Stellen treten Plot Points auf?

Auch hier ist die Verbindung und das Zusammendenken mit qualitativen Vorgehensweisen wichtig. Eine episodische, offene Erzählstruktur wird sich durch rein quantitative Verfahren nur schwer feststellen lassen, diese können jedoch deren Bestimmung und auch den Vergleich mit anderen Filmen unterstützten. Fehlen z.B. klare Aktstrukturen oder treten zahlreiche Figuren gleichberechtigt auf? Dies können Hinweise auf nicht-klassische Erzählweisen sein.

3.3.3. Auteurtheorie#

Eine weitere Perspektive bietet eine Untersuchung die sich an der Auteurtheorie orientiert. Untersucht werden hierfür z.B. wiederkehrenden charakteristischen Merkmalen im Oeuvre von einzelnen Regisseur:innen:

  • welche stilistischen Muster (Montage, Kamera, Farbgestaltung etc.) treten in Werken von Filmemacher:innen wiederholt auf?

  • existieren wiederkehrende Themen und Motive?

  • wiederholen sich bestimmte Narrationsmuster?

Es geht darum, auf diese Weise die “Handschrift” des/der Filmemacher:in herauszuarbeiten. Diese erfassten Merkmale müssen wiederum mit der Entstehungszeit der filmischen Werke, der Biografie und der Arbeitsweise der/des untersuchten Regisseur:in in Beziehung gesetzt werden.

3.3.4. Rezeption#

Auch Facetten der Rezeption von Filmen können in eine quantitative Betrachtung einfließen:

  • Besucher:innenzahlen von Filmen

  • Festivalteilnahmen und Preise

  • Zahl der Kino- und Fernsehauswertungen

  • Rankings (z.B. in Fachpublikationen, sozialen Medien, Datenbanken)

  • Box-Office

Kritiken und Kommentare können in Bezug auf das Auftreten von bestimmten Wörtern oder Wortfeldern ausgewertet werden. Nicht zuletzt ist auch hier die Kontextualisierung der erfassten quantitativen Werte von entscheidender Bedeutung, z.B. der Bezug zu politischen und ökonomischen Zusammenhängen und evtl. in den Metriken eingelassenen Biases.

3.3.5. Produktion#

Bei Produktionstechnischen Fragestellungen sind quantitative Aspekte ebenfalls nützlich:

  • Welche filmischen Gewerke waren mit welchen Personen an der Produktion des Films beteiligt?

  • Welche Personen haben wiederholt bei Filmprojekten zusammengearbeitet?

  • Welche Budgets standen zur Verfügung?

Aus solchen erhobenen Werten lassen sich potenziell Aussagen über vorhandene Netzwerke und Hierarchien in Produktionsprozessen ableiten. Für studentische Produktionen wäre in diesem Kontext zusätzlich interessant zu fragen, welche Lehrenden die Projekte betreut haben und welche Gewerke als hauptverantwortlich für Filmübungen aufgeführt sind (z.B. Regie, Kamera).

3.3.6. Historische Perspektive#

Aus der historisch orientierten Perspektive ergeben sich u.a. folgende Ansatzpunkte:

  • Wie viele Filme sind zu welchen Zeitpunkten entstanden?

  • Welche Art von Übungen und Abschlussarbeiten sind entstanden und verändert sich dies im Laufe der Zeit?

  • Welche Themen und Motive sind erkennbar?

Die Ergebnisse der Auswertung studentischer Filme hinsichtlich dieser Fragestellungen müssen wiederum in den jeweiligen kulturellen und (hochschul)politischen Kontext der Zeit gestellt werden. Zu untersuchen wäre etwa, welche Lehrende wie potenziell Einfluss auf die Filmwerke der Studierenden genommen haben, wie sich der geltende Lehrplan auf die Filme auswirkt oder wie sich aktuelle gesellschaftliche Themen in den Filmen spiegeln. Für diese Untersuchung müssen weitere Institutionen und Archive einbezogen werden, die z.B. Verwaltungsakten der Hochschule für Film und Fernsehen (HFF) Potsdam, deren Lehrpläne oder Nachlässe von Lehrenden verwahren.

3.3.7. Aspekte für die Fallstudie#

Wie deutlich geworden sein sollte stehen diese Perspektiven nicht allein oder schließen sich gegenseitig aus, sondern überlagern und überschneiden sich vielmehr. Neben den aufgeführten möglichen Perspektiven und mit ihnen verbundenen Aspekten und Fragestellungen sind zahlreiche weitere möglich.

Aufgliederung der Fragestellung

Aufbauend auf den Erkenntnissen aus der Korpusbildung, der Recherche im Bibliothekskatalog und den ersten Sichtungen exemplarischer Filme (siehe Kapitel Materialrecherche) bieten sich für eine weitere Bearbeitung der grundlegenden Fragestellung der Fallstudie u.a. folgenden Teilfragen an, die auf die Erfassung von quantitativen Aspekten ausgerichtet sind:

  • Wie viele Filme sind zu welchen Zeitpunkten entstanden?

  • Welchen Gattungen (Spielfilm, Dokumentarfilm, Animationsfilm) können diese Filme zugeordnet werden?

  • Welchen Projektarten (Übung, Diplomfilm etc.) werden die Filme zugeordnet?

  • Welche Gewerke sind an den Filmen beteiligt? Welche werden als verantwortlich aufgeführt?

  • Welche Schlagworte und Stichworte treten auf? Gibt es Worthäufungen zu bestimmten Zeitpunkten?

  • Welche Wort(felder) treten in den Beschreibungen zu den Filmen auf? Ergibt sich eine auffällige zeitliche Verteilung?

Diese Teilfragen können mit den Metadaten zu den Filmen bzw. den filmografischen Angaben aus dem Bibliothekskatalog bearbeitet werden. Anhand der erfassten Stichworte und Schlagworte, die bei der Katalogisierung der Filme vergeben wurden, und der Wortfelder in Beschreibungstexten sowie den Titeln kann z.B. versucht werden, Rückschlüsse auf bestimmte in den Filmen verhandelte Themen zu ziehen: Treten bestimmte Wörter oder Wortgruppen auf, die auf Themen hindeuten (wie Wende, Mauer, Grenze etc.). Interessant wäre u.a. auch zu untersuchen, ob um die Wendezeit 1989 verstärkt dokumentarische Arbeiten entstanden sind, um die Ereignisse in dieser Umbruchszeit festzuhalten.

Mithilfe der Metadaten ist es weiterhin möglich, aus dem Korpus des Untersuchungszeitraums verschiedene Teilkorpora zu bilden. Dies kann etwa anhand der oben erwähnten Themen geschehen (z.B. Mauer). Die Filme eines Teilkorpus können dann mit digitalen Analysetools mit Annotationen versehen und genauer hinsichtlich ihrer gestalterischen Merkmale untersucht werden. Zu testen wäre hier, inwieweit Annotationen mit digitalen Tools automatisiert erstellt werden können und welche weiteren Tools für die Auswertung der Annotationen zu den Filmen des Teilkorpus verwendet werden können.

Für all diese Perspektiven und mögliche Fragestellungen, die auch auf quantitativen Auswertungen von Filmdaten aufbauen, ist es zunächst notwendig, einen Datensatz zu erstellen, der diese filmografischen Angaben - also die Metadaten - zu den Filmen aus dem OPAC der Bibliothek der Filmuniversität enthält. Für eine sinnvolle Auswertung der Daten müssen diese in strukturierter und eindeutiger Form vorliegen. Als nächster Schritt soll nun ein solcher Datensatz erarbeitet werden.

3.3.8. Exploratives Vorgehen#

Auf der Grundlage eines bereinigten Datensatzes zu den studentischen Filmen, die an der Filmuniversität Babelsberg bzw. der HFF Potsdam in der Zeit von 1985 bis 1999 entstanden sind, bietet sich auch ein exploratives Vorgehen für die Beantwortung der grundlegenden Fragestellung an. Im Datensatz wird nach auftretenden Mustern, Strukturen, Zusammenhängen und Besonderheiten gesucht, aus denen sich neue Fragestellungen und Hypothesen ergeben können, die weiter verfolgt werden sollen. Eine solche explorative Auswertung des Datensatzes kann z.B. durch das Erstellen und die Interpretation von Visualisierungen zu den Daten erfolgen.

Wichtig ist hierbei die Verbindung der aus der quantitativen Auswertung herausgearbeiteten Muster und Besonderheiten in Bezug auf den Datensatz mit qualitativen Vorgehensweisen. Die Ursachen für das Auftreten bestimmter Strukturen und Muster müssen im jeweiligen Kontext der Entstehung der Filme gesucht werden.