Empirische Medienästhetik: Die eMAEX-Methode

2.3. Empirische Medienästhetik: Die eMAEX-Methode#

Neben Handbüchern, Lexika und Glossaren gibt es auch empirische Ansätze, die in ihrem methodischen Vorgehen darauf abzielen, deskriptive Datenmodelle und Designs für die Filmwissenschaft aufzubereiten. Nachfolgend skizzieren wir eine für unsere Fallstudie relevante empirische Methode - die eMEAX-Methode. Die eMAEX-Methode bildet die Forschungsgrundlage für empirische Untersuchungen im Bereich deskriptiv-qualitativer Filmanalyse und wurde im Rahmen des BMBF-geförderten Projekts “Affektrhetoriken des Audiovisuellen” in eine auf Semantic Web basierende Datenontologie weiterentwickelt. Da die Fallstudie mit dieser Ontologie arbeitet (s. hierzu Annotieren mit einer Filmontologie), möchten wir die Vorarbeiten und Grundideen kurz umreißen.

2.3.1. Was ist die eMAEX-Methode?#

Unter der Leitung von Prof. Dr. Hermann Kappelhoff wurde am interdisziplinären Exzellenzcluster Languages of Emotion (Laufzeit: 2007–2014) angesiedelt an der Freien Universität Berlin die sogenannte eMAEX-Methode entwickelt. eMAEX steht für electronically based media analysis of expressive-movement-images und beschreibt ein empirisches Vorgehen zur Erfassung und “systematischen Erschließung der Ausdrucksqualitäten audiovisueller Bewegungsbilder”. Im Vordergrund des Ansatzes steht ein Framework, das sich auf qualitative Empirie konzentriert:

Qualitativ-deskriptive Empirie heißt für uns, dass jede analytische Aussage, jede genretheoretische oder filmhistorische These am Gegenstand überprüfbar und nachvollziehbar ist [Ber07].

Das Beschreibungsmodell der quantitativen Bewegtbildanalyse zielt auf die affektorientierte Funktion audiovisueller Bildinszenierungen auf der Grundlage ihrer zeitlichen Gestalt ab. Es stellt sich die zentrale Frage: Wie können analytische Beschreibungen ästhetische Strategien der Emotionalisierung anhand temporaler “Ausdrucksbewegungen” methodisch fassen?
Um dabei die Binnenstruktur von Filmszenen systematisch beschreiben zu können und den filmtheoretischen Begriff der Ausdrucksbewegung methodisch zu operationalisieren, wurde die Segmentierung in Ausdrucksbewegungseinheiten eingeführt, d.h. kürzere Abschnitte von i.d.R. 30-60 Sekunden. Diese sind Figurationen, die ähnlich einer gestischen Bewegung oder einer Melodie als in sich geschlossen wahrgenommen werden können und zusammen als raumzeitliche Struktur die dynamische Verlaufsform einer Szene hervorbringen.

Zur Beantwortung der genannten Fragestellung wurde ein dreistufiges Analysemodell entwickelt, das im Folgenden vorgestellt wird:

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Fig. 2.3 Das Dreistufenmodell der eMAEX-Methode#

Identifikation

  1. Szenensegmentierung Pathosszenen: Die zeitliche Segmentierung eines Film nach Szenen und die Bestimmung dieser Szenen nach Pathoskategorien (die affektdramaturgische Makrostruktur eines Films, visualisiert als zeitliche Abfolge von Pathosszenen)

Evaluation

  1. Aufteilung Pathosszenen: Die Identifizierung und Beschreibung der einzelnen Ausdrucksbewegungseinheiten als Segmente der inszenatorischen Mikrostruktur einer Pathosszene

Analyse

  1. Zusammenführung Pathosszenen (Diagramm): Die Beschreibung des Zusammenspiels der jeweiligen Ausdrucksbewegungseinheiten innerhalb einer szenischen Komposition als dynamisches Muster, sowie die Qualifizierung dieses Musters als expressive Verlaufsform, die einen bestimmten Affektbereich aktualisiert

Ein Beispiel aus dem Film A Walk in the Sun (Lewis Milestone, USA 1945) zeigt die Anordnung der Pathosszenen in der zeitlichen Abfolge des Filmes:

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Fig. 2.4 Zeitliche Abfolge der Pathosszenen nach der eMAEX-Methode#

Ausführliche Informationen zum Drei-Stufen-Modell der eMAEX-Methode gibt es unter Empirische Medienästhetik.

Ziel der Methode ist eine empirisch-qualitative Durchführung vergleichender Studien auf verschiedenen Ebenen der filmischen Inszenierung. Ebenso sollen affektdramaturgische Verlaufsformen über die Geschichte des Genres hinweg untersuchbar gemacht werden. Dynamische Muster von Szenen etwa können so mit Blick auf eine ganz bestimmte Pathoskategorie verglichen oder die Einzelsegmente der kinematografischen Ausdrucksbewegung in einer Mikroanalyse beschrieben werden.

Wie bereits erwähnt, bildet der eMAEX-Ansatz den methodischen Einstiegspunkt für die Entwicklung der filmanalytischen Datenontologie, mit der wir später in dieser Fallstudie arbeiten werden. Zunächst soll, bevor wir inhaltlich näher auf die Arbeit mit einer Ontologie eingehen, der Untersuchungsgegenstand unserer Fallstudie thematisch eingeordnet und inhaltlich umrissen werden.

2.3.2. Literatur#

[Ber07]

Freie Universität Berlin. Empirische Medienästhetik. https://www.empirische-medienaesthetik.fu-berlin.de/index.html, 2007. Accessed: 2025-03-04.

[Kap04]

Hermann Kappelhoff. Matrix der Gefühle. Das Kino, das Melodram und das Theater der Empfindsamkeit. Vorwerk 8, Berlin, 2004. ISBN 978-3-930916-62-2.